Stellungnahme zu „Experte: Pfleger im Ausland schulen“

Am 21.08.2018 widmeten OTZ und TA sowohl Titelgeschichte als auch Meinungskolumne dem Vorschlag von Herrn Prof. Dr. Klaus Watzka (EAH Jena), dass deutsche Pflegeschulen sich in Vietnam niederlassen und dort Fachkräfte für den deutschen Markt ausbilden sollten. Was sollte man von dieser Idee halten?

Zu den Aufgaben eines Wissenschaftlers gehört es, dass man aufkommende gesellschaftliche Probleme frühzeitig erkennt, davor warnt, und bereits die ersten Lösungsansätze entwickelt. Auch originelle, kreative Lösungsansätze sind gefragt, selbst dann, wenn die zu Grunde liegenden Annahmen möglicherweise noch nicht vollständig erfüllt sind. Daher begrüße ich den Aufsatz „Fachkräftemangel in der Pflege“ von Herrn Prof. Dr. Klaus Watzka, der das Fach Allgemeine BWL/Personalwirtschaft an der EAH Jena vertritt. Spätestens dann aber, wenn die so angestoßene Diskussion zur Titelgeschichte in der OTZ und der TA (Meinungskolumne OTZ | Artikel TA) wird, ist eine Überprüfung der Annahmen erforderlich.

Wichtiger Weckruf

Der aktuelle Pflegenotstand ist seit dem letzten Bundestagswahlkampf in aller Munde. Ein aktueller Notstand kann einen dazu verleiten, die Vorsorge für die Zukunft völlig außer Acht zu lassen. Herr Prof. Watzka leistet einen wichtigen Dienst, indem er mit Zahlen belegt, dass die Situation im Jahr 2030 noch viel schlimmer sein wird als heute, wenn wir nicht jetzt schon beginnen, dagegen zu steuern. Während Norbert Blüm „Pflegen kann jeder!“ sagte, und Frau von der Leyen die Schlecker-Frauen zu Altenpflegerinnen umschulen wollte, argumentiert Prof. Watzka schlüssig, dass es keine sofortige Zauberlösung für den Pflegenotstand gibt. Mehr noch, auch wenn einige es nicht wahrhaben wollen: Prof. Watzka erkennt völlig zu Recht, dass der Fachkräftemangel zu vielen Branchen gleichzeitig trifft, und dass daher Einwanderung dringend erforderlich ist, um einen ruinösen Wettbewerb um zu wenig Arbeitskräfte zu vermeiden.

Ein längst gelöstes Problem

Kurios finde ich dagegen die Argumentation (S. 8), dass die Pflegebranche nicht im Wettbewerb mit anderen Branchen um Arbeitskräfte stehen sollte, „da ein öffentliches Interesse an der Bezahlbarkeit ihrer Dienstleistung auch für finanzschwächere Bevölkerungs­teile besteht“. Gerade dieses Argument dient Prof. Watzka als Grund, eine Sonderlösung für die Pflegebranche vorzuschlagen: dass Deutschland seine Pflegekräfte konsequent im Ausland rekrutieren und ausbilden soll, während die anderen Branchen ihre Arbeitskräfte weiterhin im Inland rekrutieren.

Aber seine Begründung, warum die Pflege nicht im Wettbewerb mit anderen Branchen stehen sollte, ist falsch. Wenn sie nämlich zutreffen würde, dann müsste sie genauso gut auch für den Arzt­beruf gelten, denn die finanzschwächeren Bevölkerungsteile müssen sich auch den Arzt­besuch leisten können. Dieses Problem ist aber längst gelöst: Kranken- und Pflege­ver­sicherung sichern allen den Zugang zu den nötigen ärztlichen und pflegerischen Leistungen.

Angebot und Nachfrage

Eine Grundweisheit der Wirtschaft betrifft Angebot und Nachfrage. Warum wird der Pflegeberuf zu wenig nachgefragt? Weil das Angebot der Arbeitgeber – Gehalt, Arbeits­bedingungen, Personalschlüssel – viel zu unattraktiv ist. Man muss nur das Angebot verbessern, und die Abwanderungswelle wird stoppen und die Ausbildungszahlen werden steigen. Sie steigen sogar jetzt schon, da half eine dermaßen einfache Maßnahme wie die Abschaffung des Schulgeldes in einigen Bundesländern (aber noch nicht in Thüringen): Diese Menschen werden aber nicht lange im Pflegeberuf bleiben, wenn die Politik ihre guten Absichtserklärungen nicht bald einlöst.

Natürlich hat Prof. Watzka aber recht, dass die Auszubildenden des einen Mangelberufes die fehlenden Auszubildenden des anderen sind. Die Lösung da ist bewusste Einwanderung von Ausbildungsfähigen für alle Branchen, da haben die aktionistische Abschiebungen der letzten Wochen einige jäh abgebrochene Erfolgsstorys der mittelständischen Industrie ans Licht gebracht, etwa bei Burkhard-Schweißen (Kaufbeuren), oder bei Allgäu Medical. Nur diesmal brauchen die Auszubildenden einen verlässlichen Aufenthaltsstatus.

Vietnam

Prof. Watzka schlägt vor, deutsche Pflegeschulen in Vietnam zu gründen. Aber bereits heute werden vietnamesische Pflegekräfte erfolgreich an der Euro-Akademie in Jena ausgebildet. Hier erlernen sie nicht nur das spezifische Fachwissen, sondern auch Sprach- und kulturelle Kompetenz. Es ist für mich eine wichtige Entwicklung, dem Fachkräftemangel in der Altenpflege zu begegnen, und musste noch ausgebaut werden. Pflegeschulen in Deutschland haben schon jetzt das Problem, nicht ausreichend finanziert zu sein, dadurch fehlt es immer wieder an Lehrkräfte in der Ausbildung. Von daher ist es sehr unwahrscheinlich, dass eine deutsche Schule eine Niederlassung in Vietnam gründen wird.

Weiterhin schlägt Prof. Watzka eine retrograde Finanzierung vor, d.h. der erste deutsche Arbeitgeber muss einen Teil der Ausbildungskosten bezahlen. Das finde ich bemerkenswert, denn bisher wollen die allermeisten Betriebe – ob sie ausbilden oder nicht – ihre Pflegefachkräfte zum Nulltarif ausgebildet bekommen. Auch bei weiteren Vorschlägen von Prof. Watzka – etwa Onboarding für Absolventen seiner vietnamesischen Schule – sage ich: Wenn die Pflegeträger das nur jetzt schon machen würden mit ihren deutschen Beschäftigten!

Bundesweit und auch in Thüringen gibt es sehr viele Initiativen, die sich dem Problem der Fachkraftgewinnung in der Altenpflege stellen. Oft schlafen sie aber wieder ein, denn es fehlt die Folge-Finanzierung. Es wäre schön, wenn Politik und Schulträger und Pflegeträger ein gemeinsames Bewusstsein schaffen würden für die zukünftige Fachkraftgewinnung.

Ihre Birgit Green, 02.09.2018
Redaktionell überabeitet 25.08.2019